Donaugrenzen in Literatur und Film. Internationale Tagung

Donaugrenzen in Literatur und Film. Internationale Tagung

Organisatoren
Olivia Spiridon, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Fachbereich Literaturwissenschaft (Tübingen)
Ort
Tübingen
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.11.2014 - 08.11.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Olivia Spiridon, Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde, Tübingen

Die vom Fachbereich Literaturwissenschaft am Institut für donauschwäbische Geschichte und Landeskunde in Tübingen organisierte Tagung verfolgte das Ziel, Untersuchungen von Donaugrenzen und ihrer Darstellung in literarischen und essayistischen Texten sowie auch in Filmnarrativen regionenübergreifend zu bündeln und zur Diskussion zu stellen.

Im Mittelpunkt der Tagung stand die Suche nach Antworten zu folgenden Fragen. 1. Was stellt Literatur mit dem Raum an? Um die Aufmerksamkeit auf Modellierungen und Remodellierung der Donau als Grenzraum zu dichten, wurde der Untersuchungszeitraum nicht eingeschränkt. 2. Umgekehrt interessierte die Frage, wie Raum Literatur determiniert, wie er das Sehen konditioniert und den Horizont für bestimmte Identitätskonstruktionen, Ordnungen, Bilder und Handlungen bereitstellt. In diesem Zusammenhang wurde nach einer Donau der besonderen Ordnungen gefragt, die sich von umgebenden Alltagswelten abgrenzt und als Rahmen für alternative Welten fungiert. 3. Schließlich wurde die Frage nach der Formung des Raums durch Ideologien gestellt. Wie wurde die Donau zu einem Raum der verhinderten und auch fingierten Kommunikation? In den Vordergrund rückten damit Ufer, die sich näher kamen oder sich aus dem Blick verloren, zerstörte und wiederaufgebaute Brücken sowie ein von Flüchtlingen, Schmugglern und Häftlingen bevölkerter Grenzraum.

Diese Fragestellungen mündeten in den einleitenden Vortrag von JAN-OLIVER DECKER (Passau) zu narrativen Funktionen der Donau am Beispiel der deutschen Literatur. In seiner typologischen Betrachtung machte er in mehreren kulturgeschichtlichen Epochen Halt und setzte Schwerpunkte auf das Nibelungenlied, auf Fouqués „Undine“, auf Franz Xaver Dworschaks „Donauschiffer“, auf Ingeborg Bachmanns „Malina“ und auf zeitgenössische Filme. Er betrachtete Grenzüberschreitungen in Lotmanscher Tradition als Störungen der Ordnung und lokalisierte im Flussbett Auslagerungsprozesse des Fremden, sei es das bedrohlich Weiblich-Erotische, das ethnisch oder ideologisch Fremde, und verband mit der Donau Möglichkeiten des Umgangs mit Identität, Alterität und Alienität.

Eine Schwerpunktsetzung mehrerer Beiträge lag auf Modellierungen und Remodellierungen der Donaugrenzen im Zuge der Indienstnahme von Literatur durch Nationsbildungsprojekte. Mit Blick auf die Beziehung zwischen Geopoetik und Geopolitik fokussierte IRINA WUTSDORFF (Tübingen) auf das Prekäre im Entwurf eines nationalen Wiedergeburtsprojekts der Slaven und untersuchte in ihrem Beitrag „Mythopoetisches Gewässer der (Tschecho)slaven“ die Donau in Ján Kollárs Dichtung „Slávy dcera“ [Die Tochter der Slava].

SVETLA CHERPOKOVA (Freiburg im Breisgau) ging von in der bulgarischen Literatur häufigen farblichen Darstellungen des Stromes aus – der „weißen“ und „schwarzen“ Donau –, die mit verschiedenen Auslegungen kollektiver Befindlichkeiten in einer dem Desiderat der Unabhängigkeit verpflichteten Literatur zusammenhängen. Die Donau spielte im Fabrikationsprozess einer national gedachten kollektiven Identität der Bulgaren eine prominente Rolle. In einem Ausblick wies sie auf die Demontagearbeit früherer Semantisierungen der Donau in neuen bulgarischen Filmen hin.

TANJA ZIMMERMANN (Leipzig) identifizierte in mehreren zeitlichen Schwerpunktsetzungen vom 19. Jahrhundert und bis in die Gegenwart und anhand von Beispielen aus mehreren slawischen Literaturen zentrale Figurationen von Verbindung und Trennung entlang der Donau: die Begegnung von Christentum und Islam, die panslawische Verschmelzung, die Zelebrierung sowjetischer Brüderlichkeit, Vorstellungen einer Demarkationslinie föderativer Donau- und Balkanländer sowie den Strom als Vermittler zwischen Zentrum und Peripherie in Filmen der 1990er-Jahre.

Zur ersten Fragestellung gehört auch die Aufnahme des Stromes als landschaftlicher Akteur am Rande und inmitten von Konfliktsituationen, die von den einzelnen Nationalliteraturen und von Filmemachern entlang der Donau aufgegriffen wurden.

UTE RASSLOFF (Leipzig) betrachtete anhand von mehreren Beispielen aus der slowakischen Literatur einen Strom, der in literarischen Rückblicken auf die Kriege und Grenzverschiebungen des 20. Jahrhunderts zum Sanktionsort wurde. Sie präsentierte Donaudarstellungen als am Rande der Ereignisgeschichte unternommene Visualisierungsversuche von Übergängen zwischen Leben und Tod.

In seinem Vortrag „Von der Idylle bis zur Verschwörung. Die Donau als Ort der Kontroverse in der serbischen Literatur“ behandelte DAVOR BEGANOVIC (Tübingen) einen Identitätsraum der serbischen Literatur, der von der Donau und der Sava gestiftet wurde, und in dem die Donau verschiedene Funktionen übernahm: Sie war ein Element der Sehnsuchtslandschaft serbischer Exilautoren, und auch ein „Tatort“ in literarischen Darstellungen serbischer Geschichte.
Mit ihrem Vortrag „Fluchtphantasien an der unteren Donau. Das rumänische Imaginäre der südlichen Grenze“ siedelte sich ROMANIŢA CONSTANTINESCU (Heidelberg/Bukarest) in einer rumänisch-bulgarischen Konfliktzone an und schilderte die Faszination und gleichzeitig das Drama der Grenzüberschreitung als Spannungsverhältnis zwischen dem Kennenlernen-Wollen, dem Aufgehen in den anderen und der Empathie auf der einen Seite und dem Verbot sowie der Unmöglichkeit der Grenzüberschreitung auf der anderen.

Im Mittelpunkt des Vortrags von KRISTIAN FEIGELSON (Paris) stand der Film von Péter Forgács „The Danube Exodus“, in dem die Donau als Verkehrsweg von Migranten während des Zweiten Weltkriegs fungierte. Durch Montage von Originalfilmen eines Amateurs wurde ein Einblick in den Alltag von Juden aus der Slowakei gewährt, die sich auf einem Dampfer donauabwärts auf dem Weg nach Palästina befanden, und von Bessarabiendeutschen, die auf dem gleichen Schiff ein Jahr später donauaufwärts fuhren. Am Rande dieser in Stummfilm dokumentierten Mikrouniversen liefert der Film auch die erklärenden politischen Zusammenhänge dieser Migrationen.

Die Donau als zentrales und unverwechselbares Raummerkmal war dazu prädestiniert, in Fabrikationsprozesse kollektiver Identität aufgenommen zu werden. Sie determinierte die Wahrnehmung und bot sich als Rahmen für Ordnungen an, die sich von den alltäglichen Welten jenseits der Ufer unterschied. Solche Aspekte wurden in den Vorträgen von EDIT KIRÁLY (Budapest), Irina Wutsdorff, Romaniţa Constantinescu und SIGURD PAUL SCHEICHL (Innsbruck) angesprochen.

Der Vortrag von Sigurd Paul Scheichl suchte auch nach Antworten auf die dritte Leitfrage, die Formung des Raums durch Ideologien. Er eruierte in einem ersten Schritt Vorstellungen der Donaugrenzen in der österreichischen Literatur in einem Überblick und vertiefend am Beispiel Franz Tumlers. Die vertraute Donau der Kindheit in Linz erscheint bei Tumler, der die Wortschöpfungen Ober- und Niederdonau aus den späten 1930er-Jahren erlebte, unter anderem als Grenzlinie zur einstigen römischen Welt und zur deutschen Donau, und auch als Landschaft, die menschliche Ordnungen prägt.

Edit Király untersuchte Repräsentationen der Donau am Eisernen Tor und der Donauinsel Ada Kaleh als vielschichtige Überlagerungen landschaftlich gegebener und symbolischer Schwellenräume. Die Untersuchung des Donaudiskurses um Ada Kaleh illustrierte unter anderem, wie ein aus seinem geografischen Zusammenhang herausgerissenes Donausegment in Redezusammenhänge um technologische Modernisierung aufgenommen wurde.

Der Beitrag von OLIVIA SPIRIDON (Tübingen) fokussierte sich auf in der deutschsprachigen Literaturlandschaft aus Rumänien nach 1945 angetroffene Donaudarstellungen. Repräsentationen der Donau als Staatsgrenze betrachtete sie als versuchte Aushandlungsprozesse der Minderheitenschriftsteller (als Vertreter eines ‚Randes‘) mit offiziellen Deutungen der Hofdichter (als Repräsentanten der ‚Mitte‘) in einer Gesellschaft, in der die Kommunikation der ‚Ränder‘ insbesondere auch über Randlagen einer strikten Überwachung unterlag.

MARIAN TUTUI (Bukarest) lieferte eine breite Übersicht über Donaufilme, ging auf literarische Muster ein und sorgte für eine kritische Bilanzierung ihrer expressiven Kraft. Sichtbar wurden Hypostasen der Grenzen am dargestellten Zerfall der Internationalität, am Narrativ der versuchten und missglückten Grenzüberquerungen sowie an einem an Donauufern angesiedelten Personal von Piraten und Schmugglern.

Im abschließenden Essay „Donaudonau oder die Fortsetzung der Wahrheit. Gesammelte Ansichten über einen eigenwilligen Strom“ des Schriftstellers und Publizisten FRANZ HEINZ (Düsseldorf) wurde die Donau als grenzwertiger Erlebnishintergrund bei politisch wechselhafter Wetterlage aufgegriffen. Der Blick auf den Strom in vielen Überquerungen zwischen Donaueschingen und Delta wurde von Ansichten und Einsichten von Eroberern, Landvermessern, Dichtern und Grenzgängern unterschiedlichster Färbungen erweitert. Zur Eruierung einer „Donauwirklichkeit“ zwischen Staunen und Ernüchterung sondierte Heinz die eigene Erfahrung als Deutscher aus dem europäischen Südosten an den Ufern des Stromes inmitten anderer Befindlichkeiten.

Im Rahmen der Tagung fand im Stadtmuseum Tübingen eine Lesung mit der Wiener Schriftstellerin BETTINA BALÀKA (Wien) statt, die mit ihrem im Suhrkamp Verlag erschienenen Roman „Eisflüstern“ einen Ersten-Weltkrieg- Roman und einen historisch verkleideten Krimi vorlegte, und gleichzeitig dem Strom eine für europäische Befindlichkeiten in Umbruchzeiten unverwechselbare Rolle zuwies.

Um den Dialog zwischen den Vorträgen zu intensivieren, und auch um ähnliche und auch unterschiedliche Auslegungen des Stromes in einem breiten Raum sichtbarer zu machen, wurde in der Schlussdiskussion die Notwendigkeit zur Schärfung des Blickes auf die gemeinsamen Fragestellungen hervorgehoben.

Konferenzübersicht:

Einführungsvortrag
Jan-Oliver Decker (Passau), Narrative Funktionen der Donau am Beispiel der deutschen Literatur

Sektion 1. Donau-Ordnungen

Sigurd Paul Scheichl (lnnsbruck), Franz Tumlers Donau

Irina Wutsdorff (Tübingen), Mythopoetisches Gewässer der (Tschecho)Slaven. Die Donau in Ján Kollárs Dichtung „Slávy dcera“ (Die Tochter der Sláva)

Ute Raßloff (Leipzig), Tödliche Donau. Beispiele aus dem Raum Bratislava/Preßburg

Edit Király (Budapest), Am Schnittpunkt der Grenzen. Topik und Topografie der Schwelle am Beispiel von Ada-Kaleh

Sektion 2. Deutungskontroversen

Davor Beganovic (Tübingen), Von der Idylle bis zur Verschwörung. Donau als Ort der Kontroverse in der serbischen Literatur

Svetla Cherpokova (Freiburg im Breisgau), Die „weiße" und die „schwarze" Donau als Grenzen(losigkeit) in der bulgarischen Literatur und im Film

Olivia Spiridon (Tübingen), Bedeutungen aushandeln. Die Donau in der deutschen Literatur aus Rumänien

Marian Tutui (Bukarest), Lower Danube Border in Fiction Films

Autorenlesung
Bettina Balàka (Wien), Lesung aus dem Roman „Eisflüstern“

Sektion 3. Ein Strom der Verbindungen?

Tanja Zimmermann (Leipzig), Begegnungen von Ost und West: Figurationen von Verbindung und Trennung entlang des Donaustroms in den slawischen Literaturen

Romaniţa Constantinescu (Heidelberg/Bukarest), Fluchtphantasien an der unteren Donau. Das rumänische Imaginäre der südlichen Grenze

Kristian Feigelson (Paris), The Danube Exodus. Ein Film von Péter Forgács

Franz Heinz (Düsseldorf), Donaudonau oder die Fortsetzung der Wahrheit. Gesammelte Ansichten über einen eigenwilligen Strom